Als ehemaliger Chef des Menschenrechtsbüros der Hilfsmission der Vereinten Nationen im Irak (UNAMI) und Berater des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs (SRSG) für Angelegenheiten von Camp Ashraf – in diesen Eigenschaften war ich von 2009 bis 2012 tätig – wurde ich von etlichen Diplomaten, Parlamentariern und militärischen Diensthabenden bei verschiedenen UN-Stellen gedrängt, meine Erinnerungen an die Zeit niederzuschreiben, in der ich bei den UN die leitende Person in Sachen Ashraf war, in Sachen des Ortes also, wo 3400 Mitglieder der Mujahedin-e Khalq (MEK) über 26 Jahre lang lebten.
Eine Zeit lang widersetzte ich mich dieser Aufgabe, da mein Amt bei den Vereinten Nationen Vertraulichkeit verlangt und die Gepflogenheiten interner Berichterstattung meine Fähigkeit, mich frei zu äußern, eingeschränkt hatten. Der bei den Vereinten Nationen geltende Modus des Berichtens ist erheblich eingeschränkt durch Kontrollen und die angenommene Notwendigkeit, sich balanciert zu äußern, Regeln, deren Befolgung dazu führt, dass die Wahrheit oft verdunkelt und die Verantwortung für das politisch Gebotene verwässert wird.
Im Herbst 2011 kam es zu neuen Entwicklungen. Ein neuer SRSG übernahm den Vorsitz der Mission und setzte es sich zur Priorität, Camp Ashraf zu schließen. Die Bewohner von Ashraf wurden aus dem Ort, wo sie 26 Jahre lang gelebt hatten, vertrieben und an einen Ort namens Camp Liberty verbracht. Die Rechtmäßigkeit der Vertreibung und der Modalitäten des Umzugs war stark umstritten. Es wurden Verbrechen an den Bewohnern von Camp Ashraf begangen, und zwar an beiden Orten. Einige von diesen Verbrechen waren so schwer, dass man sie mutmaßlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufen muss. Die UNAMI, die vom UN-Sicherheitsrat beauftragt worden war, dem Irak bei der Versöhnung und beim Wiederaufbau zu helfen, eine Arbeit, die gesetzmäßig sein und in der die Menschenrechte respektiert werden mussten, hatte versagt in der Pflicht, im Irak die Geltung des Gesetzes aufrechtzuerhalten und die Menschenrechte zu schützen. Sie hatte mehrere Male ungesetzliches Verhalten der Regierung vertuscht. Um mich von der UNAMI und dem SRSG zu distanzieren, die mit der Regierung des Irak gemeinsame Sache gegen die Bevölkerung von Ashraf gemacht hatten, und um unzensiert sprechen zu können, musste ich meine Stellung bei den Vereinten Nationen mit ihren Privilegien und ihrer Immunität aufgeben.
Nun, außerhalb des UN-Systems stehend, genoss ich jede Freiheit, mich zu äußern und die verheimlichte Geschichte zu enthüllen. Das tue ich, damit bekämpfe ich das Schweigen, das man gewahrt hat über die grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung, die man der wehrlosen Bevölkerung von Ashraf angetan hat sowie über den widerrechtlichen Totschlag, den man völlig straflos an ihnen begangen hat. Ich tue es und damit heile ich mich von dem Stress und den Frustrationen, die ich in den dreieinhalb Jahren erlitt, in denen ich die Situation dieser Menschen zu beobachten hatte. Selbstverständlich übernehme ich für das, was ich in diesem Zeugenbericht an die Öffentlichkeit bringe, die volle Verantwortung.
Meine Geschichte wird ein Bericht sein von dem, was ich an Ort und Stelle beobachtete und bezeugte. Er wird in chronologischer Reihenfolge dargelegt werden, aber die Ereignisse sind verschlungen, überlappen sich teilweise, es kommen Wiederholungen vor und nicht immer kann die chronologische Folge ganz deutlich werden. Alle Vorwürfe, die ich in meinen Erklärungen erhebe, sind dokumentiert. Die meisten Belege sind Auszüge aus meinen Notizen zu den Akten oder aus meinem persönlichen Tagebuch. Ich werde versuchen, mich so weit wie möglich der Werturteile zu enthalten und werde es dem Leser überlassen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Die Geschichte wird auf die irakische Politik den Bewohnern von Ashraf gegenüber konzentriert sein. Sie beginnt mit dem Rückzug der US-Streitkräfte und ihrem endgültigen Abschied vom Irak. Es geht darum, wie die irakische Regierung diese Politik an Ort und Stelle durchführte und welche Folgen das hatte. Ich werde ein Licht werfen auf das Embargo, das über das Lager verhängt wurde, um die Entschlossenheit der Bewohner zu brechen. Zur Darstellung kommen die die Tatsachen ermittelnden Missionen, die ich nach den beiden tödlichen Angriffen der irakischen Armee gegen die Bewohner leitete. Ich werde mich mit der Untätigkeit und Indifferenz, in einigen Fällen der Komplizenschaft der Vereinten Nationen beschäftigen. Ich werde versuchen, zur Antwort auf folgende Fragen beizutragen: Warum standen die Vereinten Nationen zur MEK und zu ihren Mitgliedern in Ashraf nicht unparteiisch? Wie arrangierten die Vereinten Nationen es mit dem irakischen Premierminister, die Bewohner von Ashraf in ein Haftlager zu verbringen, das ironisch Camp Liberty heißt? Wie wurden die Berichte verfälscht, um die internationale Gemeinschaft irrezuführen und den Terrorvorwurf gegen die Bewohner zu verewigen? In einem Schlusskapitel werde ich den Lesern Berichte von Verfahren vorlegen, die vor mehreren Gerichten und in verschiedenen Rechtssystemen stattfanden und die MEK vom Terrorismusvorwurf entlasteten. Dies führte dazu, dass sie von den Terrorlisten der europäischen Länder und der Vereinigten Staaten gestrichen wurden.
Ich werde einige Bilder wichtiger Ereignisse beifügen. Den Schluss bildet ein Anhang mit Dokumenten. Beim Lesen der Geschichte wird, hoffe ich, das Interesse des Lesers an ihnen geweckt werden.
Taher Boumedra: Chef des Menschenrechtsamts der Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Berater des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs (SRSG) über Camp Ashraf von 2009 bis 2012. Er war vorher Regionaldirektor von Penal Reform International (Internationale Strafrechts- und vollzugsreform, PRI) für den Mittleren Osten und Nordafrika (MENA), mit Sitz in Amman/Jordanien. Er arbeitete mit den Regierungen des Gebiets zusammen an der Einführung von Reformen im Strafrecht und -vollzug, die auf den Menschenrechten basieren. Im November 2008 wurde ihm die Position des Chefs des UNAMI-Büros für Menschenrechte angeboten, das auch das Hohe Kommissariat der UNO für Menschenrechte (HCHR) im Irak vertritt.