Von Otto Bernhardt *
Wird mit der Atomvereinbarung eine neue Seite im Iran aufgeschlagen, eine neue Ära eröffnet? Einige wollen uns das glauben machen, die Tatsachen weisen in eine andere Richtung.
Über den Vertrag kann man stundenlang diskutieren, aber einige Tatsachen sind unbestreitbar. Die Vereinbarung ist nicht durch einen Sinneswandel in Teheran zustande gekommen, – wenn ich das sage, bei denke ich besonders an Ali Khamenei, den Obersten Führer in Teheran. Khamenei saß gefangen zwischen Fels und Stein, um sich herum eine widerwillige Bevölkerung und die Gefahr einer nächsten Erhebung: er musste die Unruhen, die die Welt 2009 mitansah, noch im Sinn haben. Darum gab er sich bei den Gesprächen kompromissbereit und ging bei der Vereinbarung einen oder zwei Schritte zurück.
Irans oberster Führer Ali Khamenei.
In dieser Situation darf man jetzt von Teheran keinen Kurswechsel auf größeren Gebieten erwarten; das zeigt sich nirgends deutlicher als in der Frage der Menschenrechte.
Man muss es sehen, die Menschenrechtssituation im Iran verschlechtert sich. In einem Trend, der die Bezeichnung des „Gemäßigten“ für Präsident Hassan Rohani Lügen straft, geht es auf diesem Gebiet schon seit einer Weile ständig bergab.
Wie am Dienstag, dem 4. August auf einer Podiumsdiskussion erwähnt, an der deutsche Politiker und Menschenrechtsaktivisten teilnahmen, sind in den zwei Jahren seit Rohanis Amtsantritt mehr als 1800 Menschen im Iran hingerichtet worden, mehr als in einer vergleichbaren Periode der letzten 25 Jahre. Zu den Opfern gehörten politische Dissidenten wie Gholamreza Khosravi, ein Aktivist der Hauptopposition des Iran, der Organisation der Volksmodjahedin, der allein zur Strafe dafür erhängt wurde, dass er Geld für eine Fernsehanstalt des Widerstandes gespendet hatte; dazu gehörten auch Frauen, Jugendliche, Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten.
Am 23. Juli gab Amnesty International bekannt, dass im vergangenen Halbjahr fast 700 Menschen vom iranischen Regime getötet wurden. Das bedeutet, dass am Tag mehr als drei Hinrichtungen vollstreckt wurden. Geht es in diesem erschreckenden Tempo weiter, wird der Iran in diesem Jahr den für das vorige Jahr von Amnesty International verzeichneten Rekord brechen. Im Bericht von Amnesty International heißt es: „Die erschütternde Zahl an Hinrichtungen, die im ersten Halbjahr 2015 durchgeführt wurden, malt ein düsteres Bild von der Staatsmaschinerie, die geplante, juristisch gebilligte Tötungen im Massenmaßstab verübt.“ Weiter: „Wenn die iranischen Behörden dieses entsetzliche Tempo beibehalten, werden wir wahrscheinlich am Jahresende mehr als 1000 staatlich sanktionierte Tötungen zu verzeichnen haben.“
Halten wir einen Moment inne. 1000 staatliche Hinrichtungen in einem Jahr! Diese Zahl zeigt, wie weit der Iran allen anderen Ländern bei vollstreckten Todesstrafen voraus liegt. Die Zahl der Hingerichteten aus ethnischen und religiösen Minderheiten ist dramatisch angestiegen. Sehr viele christliche Priester sind inhaftiert, weil sie für ihren Glauben eintreten. Der Iran ist das größte Gefängnis für Journalisten in der Welt: zurzeit sitzen dort mindestens 35 Journalisten in Haft. Die Liste lässt sich unendlich erweitern.
Es ist noch einmal deutlicher geworden, dass Rohani „der Typ des Insiders“ ist.
Hier haben wir Europäer eine moralische Verpflichtung. Deutschland, finanziell die stärkste europäische Macht, muss die Führung übernehmen. Wir müssen klar und fair die Menschenrechte zum Maßstab unserer Beziehungen mit Teheran machen, im Einklang mit unseren Prinzipien und Werten.
Wir müssen uns auf die Seite der Iraner und ihrer Rechte, ihres Schreis nach Freiheit stellen. Das iranische Regime darf nicht das Geld, das es nach der Lockerung der Sanktionen erhalten wird, dafür ausgeben, dass es den Terror verschärft und im Mittleren Osten neuen Terror, neues Chaos schafft, – ein fürchterliches Ziel, dass Teheran todsicher anstrebt.
Wir müssen die Tausende iranischen Dissidenten, die in Camp Liberty/Irak leben, verteidigen. Es sind Mitglieder der Organisation der Volksmodjahedin Iran, der Hauptopposition des Iran, die in einem nahe am Flughafen Bagdad gelegenen Lager namens Camp Liberty leben. Sie haben bereits mehrere Massaker durchgestanden, die ihnen irakische Agenten des iranischen Regimes im Irak zugefügt haben. Die Vereinten Nationen, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union müssen die Versprechungen, die sie den wehrlosen Flüchtlingen gemacht haben, halten und den Iran für das Unheil, das er angerichtet hat, zur Verantwortung ziehen.
Wenn man von dem Nukleardeal etwas lernen kann, dann dies: Teheran ist schwach und wird zurückweichen, wenn der Westen Rückgrat zeigt. Geschäftsinteressen mögen in eine andere Richtung weisen: jetzt ist es Zeit, zu unseren Prinzipien zu stehen. Wie die Politiker und Menschenrechtsaktivisten in der Online-Diskussion am Dienstag betonten, müssen wir hartnäckiger als je von den Menschenrechtsverletzungen im Iran sprechen. Das ist moralisch und politisch geboten. Business as usual mit Teheran ist verwerflich, kurzsichtig und politisch kontraproduktiv.
Der Autor
* Otto Bernhardt (CDU), ehem. Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist Vorsitzender des Deutschen Solidaritätskomitees für einen freien Iran (DSFI) und Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung.