Politischer Gefangener im Iran

Politischer Gefangener im Iran

Ich war ein politischer Gefangener im Iran – darum werde ich Präsident Rouhanis Reise nach Europa nicht gutheißen

„INDEPENDENT“

Farzad Madadzadeh

Wie viele nicht-gewählte iranische Führer sollen in Europa noch über rote Teppiche gehen, bevor der Westen einsieht, daß keiner von denen, die dem Regime angehören, das Blutvergießen in seinem Land beenden wird?

Farzad m

Es war am 19. Februar 2009 um 3. 30 Uhr. Während ich in dem dichten Verkehr Teherans steckte, läutete mein Mobiltelefon. 

„Herr Madadzadeh?“ fragte der Anrufer.

Nachdem ich bejaht hatte, sagte der anonyme Anrufer, meine Schwester sei wegen ‚schlechter Verschleierung’ (d. h. ohne Kopftuch) verhaftet worden; ich müsse zur Polizeistation gehen, um ihre Entlassung zu bewirken.

Als ich dort eintraf und mein Fahrzeug parkte, umringte mich eine Reihe von Personen, die ich nicht kannte; sie stopften mich gegen meinen Willen in ein Auto. „Wer sind Sie?“ fragte ich. Einer von ihnen zeigte auf seine versteckte Pistole und schrie: „Das geht Sie nichts an!“

Ich erkannte sofort, daß der meine Schwester betreffende Anruf eine Falle war und ich von Agenten des Geheimdienstministeriums verhaftet wurde. Sie verbanden mir die Augen und brachten mich in das berüchtigte Evin-Gefängnis im Norden Teherans. 

Meine Odyssee als politischer Gefangener hatte begonnen.

Ich war für die „Organisation der Volksmojahedin des Iran (PMOI oder MEK)“ engagiert, die wichtigste iranische Oppositionsbewegung, die aus Gemäßigten besteht, welche die Islamische Republik gestürzt sehen wollen. Wir organisierten die Engagierten im Inland und verbreiteten Informationen über die im Iran begangenen Menschenrechtsverletzungen.

Ich verbrachte fünf Jahre als Häftling aus Gewissensgründen. Meine Haft begann in der Amtszeit von Ahmadinejad und endete in der Rouhanis. Ich erlitt körperliche und seelische Folter aller Arten, die dazu bestimmt waren, mir ein Höchstmaß von Leid aufzuerlegen und mich meiner Würde zu berauben.

Zu der Folter gehörten sechs Monate Einzelhaft; ich war vom Rest der Welt vollkommen abgeschnitten. In jener Zeit ließ man mich glauben, jeder Tag könne mein letzter sein. Die Angst wich niemals von mir.

Verhältnismäßig war ich aber noch einer von denen, die Glück hatten. In den fünf Jahren meiner Haft wurden einige meiner Haftgenossen, Mitglieder der MEK ebenso wie Angehörige ethnischer Minderheiten, z. B. Kurden, hingerichtet. Worin hatte ihr Verbrechen bestanden? Darin, daß sie aufgestanden waren und in ihrem Land über die fundamentalen Menschenrechte gesprochen hatten. 

Während der fünf Jahre meiner Isolationshaft, Angst und Folter wurden eine meiner Schwestern und einer meiner Brüder in Camp Ashraf umgebracht.

Im Februar 2014 wurde ich entlassen, doch weiterhin beständig überwacht.

In den wenigen Monaten, die ich nun als Emigrant in Europa lebte, ist mir zunehmend aufgegangen, daß die Unterstützung der demokratischen Sache in meinem Lande von den wirtschaftlichen Interessen einiger der Partner des Regimes in Europa untergraben wird. Diese kurzsichtige Politik nach dem Motto „Geschäft zuerst“ fordert unter dem Vorwand, man müsse sich an die „Gemäßigten“ im Iran wenden, einen hohen Preis: das Leben unschuldiger Menschen. 

Nun hat Hassan Rouhani vor, gegen Ende dieses Monats Italien und Frankreich zu besuchen. Es wird seit zehn Jahren der erste diplomatische Besuch dieser Art sein. Da frage ich mich: Woran zeigt sich die Mäßigung? In Meinungsfreiheit, in der Entlassung politischer Gefangener? In der Gewährung der Frauenrechte?

Und sollte das Verhalten der Mullahs in ihrem Lande von zweitrangiger Bedeutung sein – wo zeigt sich ihre Mäßigung in ihrem Verhalten zu der Region? In der uneingeschränkten Unterstützung Bashar Assads? In dem Massaker am syrischen Volk? In dem Überfall auf die saudische Botschaft in Teheran und das saudische Konsulat in Mashhad? Oder hat die Förderung von extremistischen, terroristischen Gruppen wie der Hisbollah im Libanon nachgelassen?

Tatsache ist: Während europäische Regierungen bestrebt sind, den iranischen Führern schön zu tun, erweisen diese sich als mindestens ebenso antidemokratisch und inhuman wie ihre Vorgänger. Wie viele nicht-gewählte iranische Führer sollen in Europa noch über rote Teppiche gehen, bevor der Westen einsieht, daß keiner von denen, die dem Regime angehören, das Blutvergießen in seinem Land beenden wird?

Nach fast drei Jahren der Amtszeit Rouhanis bleibt die Menschenrechtslage im Iran verheerend. Es sind mindestens 2000 Personen hingerichtet worden (die höchste Rate der Welt, eine Steigerung auf das Dreifache gegenüber einer gleich langen Zeit unter Ahmadinejad), und die Unterdrückung der Engagierten und Dissidenten hat sich nur intensiviert.

Ich frage die europäischen Führer: Wie lange soll es so weiter gehen, bevor Sie die Idee aufgeben, die iranische Regierung befinde sich auf dem Wege zur Mäßigung und sei daher auf der diplomatischen Bühne ein willkommener Partner?   

Ich bin kein Politiker, habe aber in den vergangenen Jahren eine einfache Lektion gelernt: Gute Politik beginnt mit einem korrekten Verständnis der Situation. Und was den Iran betrifft, ist das erste, was man erkennen muß: Ein gemäßigter Mullah ist ein Trugbild – schlechter Ersatz für wahres Regieren. 

Farzad Madadzadeh, 30 Jahre alt, ehemals politischer Gefangener im Iran, im Jahre 2014 aus dem Gefängnis entlassen und in der Mitte des Jahres 2015 aus dem Iran geflohen