"Ich war froh mit dem Leben davon gekommen zu sein"

„Das Massaker an politischen Gefangenen des Iran 1988 muss untersucht werden. Tausende wurden einzig und allein für ihre Unterstützung der PMOI hingerichtet“ – Überlebender Naderi spricht

The Independent - Voices

Mostafa Naderi

Die sozialen Medien haben es für die iranische Regierung schwerer gemacht, ihre Verbrechen zu vertuschen. Dies hat für meine Landsleute erhebliche Auswirkungen. Vielleicht Tausende Leben konnten dadurch gerettet werden, viele davon enge Freunde von mir, die wie ich aus dem Iran fliehen konnten.

Als Menschenrechtsaktivist verbrachte ich 11 Jahre in den Gefängnissen des iranischen Regimes, davon mehr als fünf Jahre in Einzelhaft. Ich bin einer der wenigen Überleben der Massenhinrichtungen an politischen Gefangenen im Iran im Jahr 1988.

Vor einem Viertel Jahrhundert, im Juli 1988, befand ich mich in der Klinik des berüchtigten Evin Gefängnis in Teheran. Ich wurde 1981 mit 17 Jahren verhaftet und als Unterstützer der Hauptopposition der Volksmojahedin Iran (PMOI/MEK) angeklagt, weil ich Publikationen verteilt hatte. 1988 befand ich mich in Einzelhaft und wurde dort brutal ausgepeitscht, mit Kabeln, die auf meine Sohlen schlugen. Aufgrund schwerer Blutungen wurde ich in das Krankenhaus des Gefängnisses verlegt.

Foto: Blumen am Ort eines Massengrabes vom Massaker 1988

Als ich wieder genesen war, fragte ein anderer politischer Gefangener nach meinem Namen. Ich bin „Mostafa Naderi“, sagte ich. Er wiederholte meinen Namen mit einer gewissen Überraschung in seiner Stimme, als wenn er mich kennen würde. Er sagte dann:“ Sie kamen und nannten deinen Namen mehrfach.“ Es dauerte eine Weile, bis ich heraus fand, was vor sich ging.

Als ich einige Tage später zurück in meine Zelle ging, sah ich, dass die Zellentüren auf beiden Seiten des Flurs offen standen und die Habseligkeiten der Gefangenen waren vor ihren Zellen aufgereiht. Die 60 Zellen selbst waren komplett leer.

Einige Tage später wurde ich in Zelle 325 in Einzelhaft verlegt. Nun begann ich langsam zu begreifen, was los war. Ich hatte über andere Gefangene erfahren, dass Chomeni eine Fatwa heraus gegeben hatte, in der er ein Massaker an den politischen Gefangenen, hauptsächlich der MEK, anordnete. Ich begriff, dass all die 60 Insassen bereits tot und ihre Zellen deshalb leer waren. Niemand wurde geschont, es gab keine Gnade.

Das sogenannte „Gnadenkomitee“, das Chomeni in die Gefängnisse verlegen ließ, war in Wahrheit ein „Todeskomitee“, welches persönlich von Chomeni aufgestellt wurde. Vor dem Komitee wurde dem Gefangenen nur eine Frage gestellt. „Stehen sie immer noch loyal zur MEK?“ Jeder der nicht komplett und bedingungslos der MEK abschwor, wurde hingerichtet. Die Opfer bekamen dann die Anklage des „moharebeh“ bzw. „im Krieg mit Gott befindend“, was nichts anderes bedeutete, dass man gegen die Mullahherrschaft Widerstand leistete.

Die Gefängnishalle wurde zum Schlachthaus. Die Gefangenen mußten sich in sechs Reihen in verschiedenen Gruppen aufstellen. Um jeden Hals kam ein Strick. Die Gefängniswärter traten die Stühle weg, auf dem die Gefangenen standen und hängten sie so kollektiv. Die Leichen wurden in Lastwagen gepackt und in Massengräbern verscharrt. Es gab einige Nächte, wo bis zu 400 Menschen hingerichtet wurden.

Später hörte ich noch, dass die Wachen bei mehreren Anlässen meinen Zellenblock besuchten und meinen Namen riefen. Sie waren jedoch so in Eile, dass sie mich nicht fanden.

Als das Massaker vorbei war, waren 10.000 bis 12.000 politische Gefangene in Evin hingerichtet und nur 250 hatten überlebt.

Ich kam 1991 frei. Nach einigen Monaten floh ich bei Nacht und Nebel aus dem Iran. Ich ging zuerst in die Türkei und später nach Kanada. In den wenigen Monaten, wo ich im Iran nicht im Gefängnis war, versuchte ich irgendwie die wahren Dimensionen des Massakers von 1988 zu begreifen. Niemand kannte das gesamte Ausmaß und es wird auch nicht zum Vorschein kommen, bis die Mullahs gestürzt sind. Geht man jedoch von Berichten von Insassen aus den verschiedenen Gefängnissen aus, dass könnte die Zahl bei mindestens 30.000 politischen Gefangenen liegen, die meisten von ihnen waren Sympathisanten der PMOI.

Als die internationale Gemeinschaft davon Kenntnis erlangte, war es zu spät. Es gab ein paar halbherzige verbale Verurteilungen und das war es. Glücklicherweise gibt es heute Facebook und Twitter. Nun hört die Welt von solchen Dingen in Minuten.

Die internationale Gemeinschaft kennt dieses Geheimnis seit Jahren. Amnesty International beschrieb es 2008 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der in Kanada geborene UN Sonderbeauftragte für Menschenrechte im Iran, Maurice Copithorne, beschrieb es als dunkelstes Kapitel der jüngeren iranischen Geschichte. Die internationale Gemeinschaft sitzt bis heute mit den Drahtziehern dieses Massakers an einen Tisch, weil hochrangige Vertreter der heutigen Regierung damals wichtige Positionen bekleideten. Es ist eine Schande.

Ich stimme Maryam Rajavi zu. Die Anführerin des iranischen Widerstandes sagte, dass es an der Zeit ist, dass die UN dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit von 1988 untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.