Schmuggel: Deutsche Ventile im iranischen Atomprogramm

Spezialventile aus deutscher Produktion sollen für den Plutoniumreaktor Arak in den Iran exportiert worden seinVor einem Hamburger Gericht wird der Schmuggel von Reaktor-Zubehör für den Iran verhandelt. Dabei stellt sich die Frage, warum die deutschen Beamten erst so spät eingegriffen haben. Von Matthias Küntzel

Welt Online - Am 24. Juli 2013 begann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Hamburg der bisher bedeutendste Prozess wegen Schmuggels verbotener Güter in den Iran. Der Generalbundesanwalt wirft dem deutschen Ventilbauer Rudolf M. sowie den Deutschiranern Gholamali K., Kianzad K. und Hamid Kh. vor, in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 92 Spezialventile aus deutscher Produktion für den Einsatz im Plutoniumreaktor Arak in den Iran exportiert zu haben.

Außerdem geht es um die Lieferung von insgesamt 856 nuklearspezifisch konstruierten Ventilen aus Indien in die Islamische Republik. Der UN-Sicherheitsrat hat den Bau von Arak untersagt. Wenn der Plutoniumreaktor wie von Teheran geplant 2014 in Betrieb gehen sollte, wird er pro Jahr genügend waffenfähiges Plutonium für zwei Atombomben produzieren.

Deshalb hat der Ventilschmuggel aus Deutschland besonderes Gewicht: Eine neue UN-Liste schwerwiegender Sanktionsverstöße führt ihn an erster Stelle auf.

Teheran erkennt diese Liste freilich nicht an. Hier gelten Sanktionen als das Machwerk des "großen Satans" USA, weshalb man den Bruch der Handelsbeschränkungen nicht nur staatlich anordnet, sondern ihn zum "Wirtschafts-Dschihad" aufwertet, also zur religiösen Pflicht erklärt.

Adressenänderung – schon ist das Embargo umgangen

"Der einfachste Weg, die Sanktionen zu umgehen", heißt es in einer neueren Studie des iranischen Parlaments, bestehe darin, dass "eine Person oder ein Unternehmen den Namen und die Anschrift des Unternehmens, das von der Sanktion betroffen ist, ändert."

In der Tat war die Schlüsselfigur im Hamburger Verfahren, der Iraner Hossein Tanideh, in der Lage, sich mit einem knappen Dutzend Visitenkarten unterschiedlichster Tarnfirmen auszuweisen. Tanideh, ein Top-Beschaffer für das iranische Atomwaffenprogramm, ist derzeit in Istanbul inhaftiert. Flog eine seiner "Firmen" auf, dann brachte er die nächste, scheinbar unbescholtene ins Spiel.

Zusätzlich ließen er und seine deutschen Freunde Dokumente so fälschen, dass der tatsächliche Bestimmungsort der Lieferungen nicht ersichtlich wurde. Laut den so präparierten Endabnehmer-Zertifikaten sollten die Ventile nicht in den Iran geliefert werden, sondern an vermeintliche "Endabnehmer" in Istanbul und Baku – in Länder also, in die sanktionsfrei ausgeführt werden kann. So wurde die deutsche Exportkontrolle umgangen.

Die Zollpolizei soll Sanktionsbrüche verhindern

Das Zollkriminalamt (ZKA) ist beauftragt, Sanktionsbrüche zu verhindern. Man möchte meinen, dass Tanidehs Versteckspiel dessen Ermittler in die schiere Verzweiflung trieb. Doch weit gefehlt. So berichtete das ARD-Magazin "Fakt" im Juni über den Ventilschmuggel, dass "deutsche Behörden offenbar seit 2009 von diesen illegalen Geschäften wussten und jahrelang nichts unternommen haben".

So hatten die Sicherheitsorgane den in Hamburg angeklagten Ventilbauer Rudolf M. tatsächlich schon seit etwa vier Jahren im Visier. Damals erkundigte sich das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zunächst, ob M. etwas nach Iran ausführen wolle.

Dann schauten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei ihm vorbei und bemerkten, dass er beim Stichwort Iran auffällig ausweichend reagierte. Von dem Ventilbauer gehe eine Proliferationsgefahr aus, berichteten sie laut "Fakt"-Recherchen 2009 nach Berlin.

Im Jahr darauf verdichtete sich der Verdacht. "Wie wir aus zuverlässiger Quelle wissen, haben Sie vor, die Sachen nach Iran zu verschieben", schrieb beispielsweise die deutsche Firma Auma, bei der M. Zubehör für die Ventile angefragt hatte, im Mai 2010 und brach die Kontakte ab.

Wie gelangten die Ventile in den Iran?

Warum gelangten dessen Ventile in jenem Jahr dennoch in den Iran? In dem Prozess sagte Stefan M. aus, ein Mitarbeiter des Zollkriminalamtes und seit Juli 2011 mit dem Ventilschmuggel befasst. Seine Darlegungen stießen bei den Prozessbeteiligten auf Erstaunen:

Stefan M.: Wenn ich einen Hinweis kriege, gehe ich immer erst mal davon aus: Diese deutsche Firma ist sauber. So arbeitet auch das BAFA … Sie gehen davon aus, dass die Firmen unbedarft sind.

Richter: Geht es nicht um Verhinderung? Hätte man nach den Hinweisen nicht sofort reagieren müssen, anstatt an das Gute im Kaufmann zu glauben?

Stefan M.: Es wäre kontraproduktiv, wenn man per se jeder deutschen Firma, die in einem Hinweis genannt wird, unterstellt, sie sei an einer Straftat beteiligt.

Anwalt: Ging aus dem Gespräch, das der Verfassungsschutz mit Rudolf M. führte, nicht klar das Bedürfnis hervor, sich dem Iran-Thema zu entziehen? Hätte man da nicht misstrauisch werden müssen?

Stefan M.: Für mich ist das nicht ungewöhnlich. Wenn offizielle Beamte auftauchen, rutscht den Herrschaften das Herz in die Hose. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gesprächspartner dann ausweichen.

Alle Warnungen verhallten

Am 8. September 2011 genehmigte das BAFA den Export weiterer Ventile an eine Tarnfirma Tanidehs. Angesichts der allgemeinen Grundannahme sauberer deutscher Firmen verhallten alle Warnungen – auch jene aus den USA, die seit 2009 eintrafen und immer dringlicher wurden. Kamen die amerikanischen Hinweise "eher häufig oder eher selten auf Ihren Tisch?", wird ZKA-Mitarbeiter Stefan M. in Hamburg gefragt.

"Es bewegte sich in der Mitte", antwortet der Zeuge. "Ich kriegte nicht jeden Monat so ein Ding." Wenn aber Washington etwas schickte, wanderte es "in die graue Mappe" zur "Routinebearbeitung". Gab es Kontakte nach Amerika? Das ZKA hat "zu den hinweisgebenden Staaten keinen unmittelbaren Draht", so der Zeuge.

2011 bemerkten die USA, dass ein Großteil der Ventile bereits in Arak oder auf dem Weg dahin war. Washington war erbost. Am 12. Oktober 2011 besuchten drei Vertreter des State Department, ein Beamter des US-Energieministeriums sowie eine Vertreterin der amerikanischen Botschaft das Auswärtige Amt.

An der zweistündigen Krisensitzung nahmen auf deutscher Seite Vertreter des Außenministeriums, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums sowie Stefan M. für das Zollkriminalamt teil.

Vier Monate dauerte die Kombination der Indizien

Die USA hatten um ein Treffen zum "Sachverhalt Tanideh" gebeten, berichtet der ZKA-Mitarbeiter vor Gericht. "Ich hatte das Gefühl, da ist eine Erwartungshaltung. Was habt ihr gemacht? Werden die Hinweise ernst genommen oder nicht?" Die deutsche Seite habe versucht zu zeigen: "Es wird etwas gemacht", so der Zeuge.

Es sollte jedoch noch weitere vier Monate dauern, bis die aus den USA weitergegebenen Erkenntnisse im Februar 2012 von den deutschen Beamten zusammengeführt wurden, berichtet Stefan G., ein weiterer ZKA-Mitarbeiter, beim Hamburger Prozess. Erst jetzt setzte die Telefonüberwachung ein. Im Strafjustizgebäude am Hamburger Sievekingplatz wächst das Misstrauen gegen die ermittelnden Behörden.

"Hier wird überall gemauert", entfuhr es jüngst einem der Verteidiger während einer Verhandlungspause. "Man läuft ständig gegen eine Wand." Weiterhin aber ist die "Technik made in Germany zum Aufbau des iranischen Atomwaffenprogramms heiß begehrt", wie ZKA-Präsident Norbert Drude vor Kurzem gegenüber der Zeitschrift "Focus" warnte.

Es geht auch um Hochgeschwindigkeitskameras

Bisher sind nicht nur Ventile von Deutschland in den Iran gelangt, sondern auch Hochgeschwindigkeitskameras, die für die Analyse von Atomtests wichtig sind, Flugmotoren und Navigationssysteme zur Herstellung von Drohnen sowie Sinteröfen und Testanlagen für Atomraketen.

Im vergangenen Jahr habe es 136 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz gegeben, so Drude. "Drei Viertel der Fälle betreffen nach Angaben des obersten Zöllners das Mullah-Regime in Teheran."

Doch stellen auch diese etwa 100 iranbezogenen Ermittlungsverfahren wohl nur die Spitze des Eisbergs dar, und nicht jeder der aufgespürten Fälle zieht ein Ermittlungsverfahren nach sich. Oft wird ein Ermittlungsverfahren erst dann angestrengt, wenn die inkriminierte Ware bereits im Iran ist.

So war es auch bei den 948 nuklearspezifischen Ventilen, um die es in Hamburg geht. Der bisher bedeutendste Atom-Schmuggel-Prozess bietet die Chance, dem offenbar vorliegenden Fehlverhalten deutscher Behörden auf den Grund zu gehen.