Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen

Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen

Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen: Gemeinsame schriftliche Erklärung von NGO’s zur Verurteilung des iranischen Regimes wegen des 1988 von ihm begangenen Massakers

NCRI – Während der 33. Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, die vom 13. bis zum 30. September 2016 in Genf stattfand, legten fünf NGO’s mit Beratungsstatus bei den Vereinten Nationen gemeinsam mit fünf Menschenrechts-organisationen eine Erklärung mit dem Thema „Das 1988 an politischen Gefangenen begangene Massaker – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Diese Erklärung wurde am 13. September 2016 vom Sekretariat des Menschenrechtsrates als offizielles Dokument registriert und veröffentlicht. Es folgt der vollständige Text:

 

Menschenrechtsrat

 

Dreiunddreißigste Sitzung

 

Tagesordnung Punkt 4

Menschenrechtssituationen, die die Aufmerksamkeit des Rates erfordern

 

Gemeinsame schriftliche Erklärung, vorgelegt von der Gewaltlosen Radikalen Partei, Transnational und Überparteilich – einer Nichtregierungsorganisation mit allgemeinem Beratungsstatus, der Internationalen Vereinigung zu den Rechten der Frauen, France Libertés: der Stiftung Danielle Mitterrand, weiteren Nichtregierungsorganisationen mit besonderem Beratungsstatus, der Internationalen Entwicklung der Bildung Inc., der Bewegung gegen Rassismus und für die Völkerfreundschaft sowie Nichtregierungsorganisationen in der Absenderliste

 

 

Das 1988 an politischen Gefangenen im Iran begangene Massaker stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar

 

Am 9. August wurde nach 28 Jahren eine vertrauliche Tonbandaufnahme von einem Treffen veröffentlicht, das am 15. August 1988 stattfand und an dem Ayatollah Hossein-Ali Montazeri, der damals noch als Erbe von Ayatollah Khomeini galt, und Mitarbeiter der Justiz und des Geheimdienst-ministeriums des Iran teilnahmen; sie offenbart neue Einzelheiten von der größten Hinrichtungswelle der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf diesem Tonband bestätigen die für das Massaker von 1988 Verantwortlichen das Massaker mit ihrer eigenen Stimme. Die Massenhinrichtungen politischer Gefangener begannen im Iran im Jahre 1981.

Nach dem im Juli 1988 abgeschlossenen Waffenstillstand erließ Ayatollah Khomeini eine Fatwa (ein Dekret). Darin heißt es:

„Da die verräterischen Monafeqin (die MEK/PMOI) nicht an den Islam glauben und das, was sie sagen, auf Täuschung und Heuchelei beruht, da ihre Führer zugegeben haben, daß sie zu Renegaten geworden sind, und da sie zum Krieg gegen Gott antreiben, wird hiermit angeordnet, daß jene, die sich in den Gefängnissen des Landes befinden und weiterhin darauf beharren, daß sie die Monafeqin (MEK/PMOI) unterstützen, weil sie zum Krieg gegen Gott antreiben, zum Tode verurteilt werden. In Teheran werden Herr Hojatol-Islam Nayyeri, Richter der Scharia, Herr Eshraqi (Staatsanwalt von Teheran) sowie ein Vertreter des Geheimdienstministeriums durch Mehrheitsbeschluß über ihr Schicksal entscheiden. In den Gefängnissen der Provinzhauptstädte werden der Richter der Scharia, der revolutionäre Ankläger und ein Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums die Entscheidung treffen. Die für die Urteile Verantwortlichen sollten frei sein von Zögern und Zweifel; sie sollten gegenüber den Ungläubigen ihren ganzen Zorn entfalten.“

Auf die Frage des Leiters der Justiz, ob diese Fatwa auch für jene gelten solle, über die bereits Haftstrafen verhängt worden seien, erklärte Ayatollah Khomeini:

„In allen genannten Fällen – d. h. wenn die betroffene Person in irgendeinem Zustand, zu irgendeiner Zeit auf ihrer Unterstützung der Heuchler (MEK/PMOI) beharrt hat, geht das Urteil auf Hinrichtung. Vernichtet sofort die Feinde des Islams! Was die Fälle betrifft, so greifen Sie auf die Kriterien zurück, die einen beschleunigten Vollzug des Urteils fördern!“

Der Fatwa von Ayatollah Khomeini entsprechend wurden in allen Provinzen ähnliche Kommissionen gebildet. Sie trugen offiziell den Titel „Begnadigungs-Kommission“, doch die Häftlinge gaben ihnen den Namen „Todeskommission“. Viele von denen, die während dieser Hinrichtungswelle umgebracht wurden, waren bereits von Revolutionsgerichten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden und verbüßten ihre Strafen. Einige hatten ihre Strafen bereits verbüßt, waren aber nicht entlassen oder ohne Grund erneut verhaftet worden. Andere waren entlassen, doch neuerlich verhaftet worden; sie wurden während des an den politischen Gefangenen begangenen Massakers hingerichtet.

Auf dem Tonband von der Zusammenkunft des 15. August 1988 hört man, wie Herr Montazeri mit der Todeskommission spricht. Anwesend sind Mostafa Pour-Mohammadi, Vertreter des Geheimdienstministeriums, Hossein-Ali Nayyeri, der religiöse Richter, Morteza Eshraqi, Staatsanwalt von Teheran, und Ebrahim Raissi, stellvertretender Staatsanwalt von Teheran. Pour-Mohammadi ist gegenwärtig der Justizminister des Iran, Nayyeri ist Leiter des Höchsten Disziplinargerichts für Richter, und Raissi ist der Leiter der Stiftung „Astan Qods-e Razavi“, eines der wichtigsten mit dem Staat verbundenen politischen und ökonomischen Machtzentren des Iran. Er gilt als Kandidat für die Nachfolge Khameneis. Es folgen Zitate von der Sitzung:

Montazeri:

„In anderen Städten haben sie allerlei Dinge (Verbrechen) begangen. ... In Ahwaz war es wirklich furchtbar. Dieser Richter, jener Richter, in dieser Stadt, in jener Stadt – sie verurteilten jemanden zu fünf Jahren, sechs Jahren, zehn Jahren, fünfzehn Jahren. Wenn man jetzt diese Leute hinrichtet, ohne daß sie etwas Neues begangen hätten, heißt es, daß das gesamte System der Justiz in die Irre geht.“

Zu Pour-Mohammadi, dem Vertreter des Geheimdienstministeriums, sagte Montazeri:

„Der Geheimdienst kontrollierte (die Tötungen) und investierte darein. Ahmad Khomeini (der Sohn des Ayatollah) hat vor 3 bis 4 Jahren selbst gesagt, alle Freunde der PMOI sollten hingerichtet werden, selbst wenn sie nur deren Zeitung, ihre Schriften oder auch nur eine von ihren Erklärungen gelesen haben.“

Montazeri:

„Unter denen, die getötet wurden, befinden sich 15 Jahre alte Mädchen und schwangere Frauen. Nach schiitischer Rechtslehre darf eine Frau, auch wenn sie eine ‚Mohareb’ ist (d. h. zum Krieg gegen Gott antreibt), nicht hingerichtet werden. Ich habe Khomeini das gesagt; er antwortete: Nein, auch Frauen müssen hingerichtet werden.“

Nach der Ausführung der Fatwa war in einigen Gefängnissen des Landes – darunter dem Dizel-Abad-Gefängnis in Kermanshah, dem Vakil-Abad-Gefängnis in Mashhad, dem Gefängnis in Gachsaran, dem Gefängnis von Khoramabad, dem Gefängnis von Kerman sowie dem Masjed-Soleyman-Gefängnis - kein einziger politischer Gefangener mehr übrig. In anderen Gefängnissen wurden praktisch alle, die mit der „Organisation der Volksmojahedin des Iran (PMOI/MEK)“ verbunden waren, hingerichtet. In einer der Frauenabteilungen des Gohardasht- (Rajai-

Shahr-)Gefängnisses der Stadt Karaj überlebten von 200 Häftlingen nur vier.

In einem Brief an Khomeini vom 31. Juli 1988 protestierte Ayatollah Montazeri gegen die Massenhinrichtungen und wies auf „den Tod von einigen tausend Menschen in wenigen Tagen“ hin. In einem anderen Brief bezog sich Ayatollah Montazeri auf die Tötungen als „ein Massaker“; er schrieb, die Mojahedin verträten eine Ideologie, eine Denkschule, die durch Hinrichtungen nicht ausgelöscht werden könne.

Bald nach dem Beginn des Massakers wurden auch viele von denen, die mit anderen politischen Gruppen verbunden waren, hingerichtet.

Das Vorgehen der „Todeskommission“

 

Nach zahlreichen Berichten war das Vorgehen der Todeskommission sehr einfach. Die erste Frage war: „Mit welcher politischen Organisation sind Sie verbunden?“ Jene, die antworteten: „mit den Mojahedin“ (PMOI), wurden sofort an den Galgen gesandt. Die ‚korrekte’ Antwort lautete „Monafeqin“ (‚Heuchler’ – das war der verächtliche Name, mit dem die iranischen Behörden die PMOI belegten). Nach Ayatollah Montazeri genügte in manchen Städten diese Antwort nicht; es folgten weitere Fragen:

-   Sind Sie bereit, die Monafeqin in einem Fernsehinterview zu verurteilen?

-   Sind Sie zum Kampf gegen die Monafeqin bereit?

-   Sind Sie bereit, einem aktiven Mitglied der Monafeqin die Schlinge um den Hals zu legen?

-   Sind Sie bereit, für die Armee der Islamischen Republik Minenfelder zu räumen?

Eine verneinende Antwort auf diese Fragen bedeutete die Hinrichtung.

Massengräber

 

Die in Teheran und anderen Städten Hingerichteten wurden in Massengräbern bestattet. In einigen Fällen wurden 100 Leichen übereinander gestapelt. Sie wurden niemals untersucht; die Beherrscher des Iran versuchten, alle Spuren der Massengräber auszulöschen. Am Ende des Jahres 2009 und zu Beginn des Jahres 2009 wurde das Gelände der Massengräber au dem Khavaran-Friedhof im Osten Teherans von Bulldozern planiert. Amnesty International beharrte in einer Erklärung vom 20. Januar 2009 darauf, daß die Möglichkeit, diese Friedhöfe zu untersuchen, erhalten werden müsse.

Der Besondere Berichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen erklärte in seinem Bericht des Jahres 1989: „Am 14., 15. und 16. August 1988 wurden 860 Leichen vom Evin-Gefängnis (Teheran) zum Behesht-e-Zahra-Friedhof transportiert“ - und dies, obwohl die Mehrheit der Toten in Massengräbern des Khavaran-Friedhofes bestattet wurde.

Reza Malek, ehemals ranghoher Beamter des Geheimdienstministeriums, der zu einem Whistle-Blower geworden ist, wurde verhaftet und erst vor kurzem nach zwölfjähriger Haft entlassen. Er hatte aus dem Gefängnis heimlich einen Videoclip an Ban Ki-moon geschickt. Der Clip enthüllte die Hinrichtung von 33 700 Personen in wenigen Tagen des Jahres 1988.

Dr. Mohammad Maleki, der erste Kanzler der Teheraner Universität nach der Revolution von 1979 und angesehener Dissident im Iran, wies in einem Interview mit „Dorr TV“ am 14. August 2016 darauf hin, daß Reza Malek, der im Geheimdienstministerium eine Position bekleidete und mit Dokumenten und Archiven befaßt war, erklärte hatte, mehr als 30 400 der hingerichteten Häftlinge seien von der PMOI gewesen, und 2000 – 3000 seien Linke und Marxisten gewesen.

Unabhängige Berichte

 

Der britische Jurist Geoffrey Robertson, QC, Leiter des Sondergerichts der Vereinten Nationen für Sierra Leone, veröffentlichte im Jahre 2010 einen gründlichen, mit Dokumenten versehenen Bericht von diesen Tötungen, obwohl er nicht zu allen Beweismitteln Zugang hatte: „Mullahs ohne Gnade“. Er erklärt deutlich, daß diese Tötungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren und als Völkermord angesehen werden können. Richter Robertson klagt die internationale Gemeinschaft wegen Mangels an Entschiedenheit angesichts dieses Verbrechens an. Er schließt, die Untätigkeit und Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber diesem Verbrechen räume der iranischen Regierung die Freiheit ein, das Völkerrecht zu brechen und weiterhin die Menschenrechte zu verletzen. Er schließt:

„Die in den Gefängnissen des Iran begangenen Massaker sind aufgrund ihrer vorsätzlichen, von den politischen und juristischen Führern des Staates geplanten Grausamkeit schärfer zu verurteilen als vergleichbare Fälle. ... Die beiden Führer, die die Massaker von 1988 anordneten und durchführen ließen, Khamenei und Rafsanjani, sind heute Höchster Führer bzw. Vorsitzender des Schlichtungsrates; die Richter der Todeskommissionen bekleiden Stellungen in der Justiz. Sie verdienen es, vor ein internationales Gericht gestellt zu werden; nur der Sicherheitsrat könnte ein solches einrichten.“ (S. 104)

Was in den iranischen Gefängnissen im Jahre 1988 geschah, verbleibt als tiefe Narbe in Leib und Seele des iranischen Volkes. Die einzige Möglichkeit, diesen Schmerz zu lindern, bestünde in einer umfassenden Ermittlung und in der Identifizierung jener, die ihre Macht missbrauchten, um tausende ihrer ideologischen Gegner hinrichten zu lassen.

Am 2. November 2007, dem 20. Jahrestag des Massakers, gab Amnesty International eine Erklärung heraus, in der es sich auf diesen Tag als Tag des Gedenkens an das „Häftlingsmassaker“ bezog. Am 25. Dezember 2005 bezeichnete ein Bericht von Human Rights Watch diese Tötungen ebenfalls als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Am 4. Februar 2001 hieß es in einem Artikel der britischen Zeitung „The Sunday Telegraph“: „Eine Fatwa Khomeinis kostete 30 000 Menschen das Leben.“ Ein Zeuge des Massakers, der unter dem Pseudonym „Payam“ von der kanadischen Zeitung „The Toronto Star“ interviewt wurde, gab die Zahl der Hinrichtungen mit

30 000 an.

Diese Zahl wurde 2010 in der französischen Zeitung „La Croix“ von dem Leiter des iranischen und afghanischen Büros von „Reporter ohne Grenzen“ bestätigt.

Kürzlich schrieb Mohammad Nourizad, der vor der Unterdrückung des Aufstands von 2009 in Teheran eng mit Ayatollah Ali Khamenei verbunden war, in einem Artikel über Ruanda: „Hier (d. i. im Iran) wurden binnen zwei oder drei Monaten 33 000 Männer, junge und alte, inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Ihre Leichen wurden von Lastwagen zum Khavaran-Friedhof und in ödes Gelände gebracht und in Massengräbern bestattet, glücklich über das, was sie getan hatten ...“

Am 20. September 2013, dem 25. Jahrestag dieser Untaten, gab die „Internationale Föderation für die Menschenrechte (FIDH)“ bekannt, sie qualifiziere gemeinsam mit der LDDHI die Ereignisse von 1988 als außergerichtliche und willkürliche Hinrichtungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu den internationalen Abkommen gehört kein Statut für die Begrenzung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist daher die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, vertreten durch den Menschenrechtsrat und den Sicherheitsrat, sich um diese Angelegenheit zu kümmern und die Täter vor Gericht zu stellen. Die Angelegenheit stellt sich umso dringlicher dar, als das Massaker und der Völkermord von 1988 kein Ende gefunden hat, sondern immer noch weiter geht; die Hinrichtung von 25 Sunniten am 2. August 2016 ist das vorerst letzte Beispiel. Außerdem sitzen die für das Massaker von 1988 Verantwortlichen immer noch in Schlüsselpositionen und unterdrücken und töten weiterhin verschiedene Teile der iranischen Gesellschaft.

Abschließend empfehlen wir dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für die Menschenrechte, dem Menschenrechtsrat und der Vollversammlung der Vereinten Nationen, das Massaker auf ihre Tagesordnung zu setzen, in einem ersten Schritt eine internationale Kommission zur Ermittlung dieses schändlichen Verbrechens einzusetzen und den Fall an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiter zu leiten.

Und wir fordern den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, ein internationales Tribunal zu bilden, damit die für die Verbrechen Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.

Auch die Vereinigung von Völkerrechtsanwälten „Hände weg von Kain“ des „Edmond-Rice-Zentrums“, das Komitee der Vereinigung iranischer Frauen in Frankreich zur Förderung der Menschenrechte im Iran sowie NGO’s ohne Beratungsstatus teilen die in dieser Erklärung mitgeteilten Ansichten.