Wie die Mullahs lernten, die Taliban zu lieben Vor dem Isaf-Abzug haben die Mullahs ihre Macht in Afghanistan ausgebaut – auch, indem sie ihre einstigen Todfeinde unterstützen: die Taliban. Ein Kommandeur hat uns erzählt, wie das funktioniert. Von Sabina Matthay, Kabul Gleich einer Fata Morgana leuchtet die türkisblaue Kuppel der Khatam-al-Nabi'in-Moschee durch den winterlichen Smog von Kabul. Das prächtig gekachelte Tor, die Minarette, die großzügigen Unterrichtsgebäude und Wohnheime im zentralasiatischen Stil stechen unwirklich ab von den düsteren baufälligen Schuppen der Handwerker und Krämer ringsum. Das Seminar ist eindrucksvolles Indiz für den wachsenden iranischen Einfluss in Afghanistan
(Link: http://www.welt.de/themen/afghanistan-einsatz/) : Sein Gründer unterhält beste Beziehungen zum religiösen Establishment des Mullah-Regimes, die Religionsschule wird angeblich mit iranischer (Link: http://www.welt.de/themen/iran-konflikt/) Hilfe finanziert, die Schüler gehören zur schiitischen Minderheit, die während der Taliban-Zeit ausgegrenzt und bedroht war. Seit 2001 baut Teheran seine kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Präsenz in Afghanistan aus, weit über die Regionen entlang der gemeinsamen Grenze hinaus. "Der Iran hat längst strategische Tiefe am Hindukusch erlangt," sagt Mohsen Milani, Iran-Experte an der University of South Florida. Seit der Vertreibung der Taliban von der Macht hat der Iran Hunderte Millionen Dollar in Afghanistans Aufbau und Entwicklung investiert und sich zum wichtigen Handelspartner entwickelt. Doch Teheran verfolgt seine Interessen in der Region auch mit subversiven Mitteln. Eine halbe Stunde Autofahrt von der Khatam-al-Nabi'in-Moschee entfernt treffen wir einen Mann, der von der fragwürdigen Seite iranischer Einflussnahme in Afghanistan erzählt. Assadullah ist mit dem Sammeltaxi aus der östlichen Provinz Ghasni mit der gleichnamigen Provinzhauptstadt gekommen, wo der afghanische Staat nie richtig Fuß fassen konnte und der Aufstand gegen die Internationale Schutztruppe Isaf ungebrochen ist. Die Iraner bilden seine Kämpfer aus, sagt der Kommandeur Die Hauptstadt der Provinz war die Islamische Kulturhauptstadt 2013, doch Besuche sind unmöglich. Die Taliban haben in Ghasni ein Schattenregime errichtet, das die Region de facto beherrscht, und drohen Auswärtigen mit Entführung, gar Ermordung. Assadullah aber fürchtet die Taliban nicht. Der drahtige Mann in Pluderhose und Kaftan, mit weißer Kappe und Vollbart, sitzt jetzt in einem karg möblierten Büro im Zentrum von Kabul und nippt an einem Glas grünem Tee. Er gehöre selbst zu den Aufständischen, befehlige 40 Kämpfer im Bezirk Andar, wo ein Außenposten der Isaf liegt, erzählt der Paschtune. "Die Ausländer sind alle Feiglinge, dem Kampf von Mann zu Mann stellen die sich nie." Andar ist einer der gefährlichsten Bezirke in Ghasni. Nach Erkenntnissen des US-Militärs werden Taliban dort von Al-Qaida-Mitgliedern ausgebildet und mit Waffen beliefert. Auch pakistanische Taliban kommen oft über die Grenze. Assadullah allerdings will auf dem Umweg über den Iran zu den Taliban gestoßen sein. Vor drei Jahren habe er im Nachbarland Arbeit gesucht. Ein Mann aus seinem Heimatdorf habe den iranischen Geheimdienst auf ihn aufmerksam gemacht. "Acht Monate lang wurden wir irgendwo in der Wüste ausgebildet, haben gelernt, wie man Überfälle verübt, mit verschiedenen Waffen umgeht, Sprengsätze baut", erzählt der 36-Jährige. Die Auszubildenden seien samt und sonders Paschtunen aus dem Süden und Osten Afghanistans gewesen, die Ausbilder Iraner in Zivil. Ob Geheimdienst, Armee oder Polizei kann Assadullah nicht sagen. "Nützliche Feinde" Teherans Verhältnis zum Taliban-Regime der 90er-Jahre war schwierig, nicht allein wegen der religiös-ideologischen Differenzen zwischen dem schiitischen Staat und den sunnitischen Fundamentalisten. Die Förderung der Taliban durch den pakistanischen Geheimdienst und die Finanzierung mit saudi-arabischen Geldern wertete der Iran als Maßnahme zur Verbreitung des Wahabismus, die sich direkt gegen die eigenen Interessen richtete. Doch seit 2001 habe sich die iranische Sicht auf die Taliban gewandelt, sagt Iran-Experte Milani. "Aus strategischer Perspektive sind die Aufständischen jetzt nützliche Feinde, die die Interessen ihres anderen Feindes, nämlich der USA, in Afghanistan konterkarieren." Ein asymmetrischer Stellvertreterkrieg, der die ausländischen, vor allem amerikanischen Truppen am Hindukusch bindet, soll den Einfluss der USA dort schmälern und die Amerikaner von einem Militärschlag gegen iranische Nuklearanlagen abhalten. Es fragt sich, ob Teheran die Taliban noch unterstützen wird, wenn das Tauwetter im Atomstreit mit den USA anhält. Nach Erkenntnissen der Amerikaner bilden die iranischen Revolutionsgarden Taliban zu Guerillakämpfern aus und beliefern sie mit Waffen. Im Jahr 2011 fingen britische Spezialkräfte in der südafghanischen Provinz Nimrus 48 Raketen aus iranischer Produktion ab, schwere Geschütze mit einer Reichweite von über 17 Kilometern. "Seit dem Jahr 2006 hat der Iran Waffenlieferungen an ausgewählte Taliban-Mitglieder organisiert, darunter Kleinwaffen und Munition, Panzerabwehrwaffen, Mörser und Mörsermunition, Raketen im Kaliber von 107 Millimetern sowie Plastiksprengstoff," heißt es im Terrorismus-Jahresbericht des US-Außenministeriums. 6000 Dollar pro Monat – oder auch mehr "Die Iraner bringen die Waffen an die Grenze nach Afghanistan, da übernehmen Mittelsmänner die Lieferungen und transportieren alles per Lastwagen in die Provinzen, andere verteilen die Waffen dann," erklärt Assadullah das Vertriebssystem. Die iranische Regierung hat solche Berichte stets zurückgewiesen. Das schließt jedoch nicht aus, dass Teheran sich nicht staatlicher Akteure bedient, um den Aufstand in Afghanistan anzufeuern. Assadullah, der als Knabe eine sunnitische Koranschule in Pakistan besucht hat, findet nichts dabei, die Unterstützung iranischer Schiiten anzunehmen. Ausschlaggebend sei das Geld gewesen, gibt der angebliche Taliban-Kommandeur unumwunden zu. "Während des achtmonatigen Trainings erhielt jeder von uns 10.000 US-Dollar," erzählt er. Das ist das Neunfache des durchschnittlichen Jahreseinkommens eines Afghanen und nach Angaben von Assadullah deutlich mehr, als Pakistan zahle. "Seit ich vor zwei Jahren nach Ghasni zurückgekehrt bin, um für die Taliban zu kämpfen, gibt es jeden Monat 6000 Dollar." Davon zahle er seinen Männern Sold – und brauche er mehr, rufe er einen afghanischen Mittelsmann im Iran an. Der organisiere auch die Waffen- und Munitionslieferungen. An Bewerbern mangelt es den Taliban nie Wir müssen uns auf Assadullahs Wort verlassen, dass er der ist, für den er sich ausgibt. Angesichts der Gefahren können wir nicht in seine Heimatprovinz reisen, um seinen Bericht zu verifizieren. Das Gespräch in Kabul hat ein Vermittler organisiert, der für sich ein Honorar und für Assadullah die Fahrtkosten in Rechnung stellt. Doch die Angaben des vorgeblichen Taliban sind detailliert genug, um glaubwürdig zu sein. Rund 20 Operationen habe seine Gruppe seit 2012 ausgeführt, meist Sprengfallen gelegt, sich aber auch direkte Gefechte mit Isaf-Soldaten geliefert. Zwölf seiner Kämpfer seien dabei getötet worden, doch neue Kämpfer seien leicht zu finden. "Kein Problem, die Leute in Ghasni haben ja keine Arbeit und kein Einkommen, und außerdem verabscheuen sie die Ausländer." Die Männer rekrutiere er selbst, sagt Assadullah, jeden Winter schicke er einige von ihnen zur Ausbildung in den Iran. Im Übrigen arbeiteten die verschiedenen Taliban-Gruppen in seiner Gegend zusammen, ob sie vom Iran unterstützt würden oder von Pakistan: "Wir haben ja denselben Feind." Teheran zahlt, aber es macht keine Vorgaben Vorgaben aus dem Iran erhalte er nicht, die Taliban-Kommandeure am Ort würden selbst entscheiden, wen und wie sie angreifen. "Unser Ziel ist es, die Ausländer und die Afghanen, die so denken wie sie, zu vertreiben und wieder eine Taliban-Regierung an die Macht zu bringen." An der Wiedererrichtung des Islamischen Emirats in Afghanistan dürfte Teheran allerdings kein Interesse haben, denn dann würden Pakistan und Saudi-Arabien wieder die Dinge in Kabul bestimmen. Die Iraner kultivierten die Taliban, weil sie sich davon Mitsprache bei der Beilegung des Konflikts am Hindukusch in ihrem Sinne versprächen, glaubt der politische Beobachter Wahid Mujda in Kabul: "Die Iraner hätten gern eine Schlüsselstellung in der Region und können natürlich nicht ignorieren, dass die Taliban Realität in Afghanistan sind." Teheran sei wohl zu der Einschätzung gelangt, dass die Beteiligung der Islamisten an der Macht in Kabul nötig sei, um das konfliktgeplagte Land zu stabilisieren. Deshalb geht der Iran auch auf diplomatische Tuchfühlung. Bargeld für Karsai Anfang Juni gaben sich zwei Taliban-Delegationen in Teheran die Klinke in die Hand. Die militanten Islamisten trafen sich nach eigenen Angaben mit hohen Klerikern und Vertretern der iranischen Staatsführung. "Sie versuchen, sich neue Refugien zu erschließen. Pakistan ist den Taliban sicher, eine Vertretung in Katar haben sie auch schon, vielleicht auf absehbare Zeit ja auch ein Büro in Teheran," sagt Mujda, der während des Taliban-Regimes im Außenministerium des Islamischen Emirats Afghanistan arbeitete und immer noch über gute Kontakte zu den Extremisten verfügt. Die iranischen Avancen an die Taliban sind eine herausfordernde Geste in Richtung USA, die dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai derzeit wohl ins Kalkül passt. Karsai, der aus Teheran Bargeldspenden in Millionenhöhe erhalten hat, vereinbarte bei einem Besuch im Dezember mit seinem iranischen Kollegen Hassan Ruhani ein Freundschaftsabkommen und widersprach nicht, als der iranische Präsident erklärte: "Wir sind der Ansicht, dass alle ausländischen Truppen die Region verlassen sollten." "Sobald die Isaf weg ist, sorgen wir für Ordnung" Der Streit über das afghanische Sicherheitsabkommen mit den USA ist nicht beigelegt. Der Abzug der Isaf aber schreitet voran, und es erscheint nicht mehr unmöglich, dass nach 2014 keine ausländischen Soldaten mehr am Hindukusch sein werden. Assadullah wertet das als Sieg der Taliban. Er rechnet aber auch schon mit dem nächsten Krieg, nämlich gegen Hasara, Usbeken, Tadschiken, die sich 2001 zur Vertreibung des Taliban-Regimes mit den ausländischen Streitkräften verbündet hatten. "Die Warlords aus dem Norden haben dafür gesorgt, dass wir unablässig bombardiert wurden. Nur wir Paschtunen haben in den letzten zwölf Jahren gelitten. Das werden wir nie vergessen. Sobald die Isaf geht, werden wir in Afghanistan für Ordnung sorgen." Auf die Unterstützung des Iran sollten die Taliban dann allerdings nicht zählen. Die nicht paschtunischen Kräfte Afghanistans, insbesondere die Schiiten, sind traditionell iranische Verbündete. Im Fall eines Bürgerkriegs dürfte Teheran sich ihnen wieder stärker zuwenden. © Axel Springer SE 2013. Alle Rechte vorbehalten