Sunnitischer Aufstand gegen Maleki oder ISIS Terror?
In den bisherigen Meldungen und Analysen der westlichen Presse erscheint der Konflikt im Irak als eine unglaubliche Invasion von ca. 3000 Terroristen aus Syrien, die sich in einer nicht zu überbietenden Geschwindigkeit großer Teile des Irak bemächtigt haben. Die Millionenstadt Mossul ergibt sich innerhalb von einem Tag, nahezu kampflos und die irakische Armee löst sich auf. Angebliche Hinrichtungen von hunderten irakischen Soldaten verbreiten sich im Internet und verhärten den Eindruck, eine kleine Gruppe wild entschlossener Terroristen bemächtigten sich eines Staates. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Version einer kleinen , sehr effektiven Mörderbande ISIS stimmt.
Eine Miliionenstadt , wie Mossul kann nicht von wenigen Kämpfern in einigen Stunden eingenommen werden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hier auch andere zivile oder auch organisierte Kräfte beteiligt sind. Dazu gehören auf jeden Fall die Militärräte der Stämme, die sich auch in Interviews bei Al Jazira öffentlich erklärt haben und noch vorhandene Einheiten von bis zu 250.000 ehemaligen pensionierten Soldaten der Armee Sadam Husseins.
Der irakische Ministerpräsident Nuri el Maleki bittet um internationale Hilfe im Kampf gegen den Terror, nachdem ihm das irakische Parlament die Notstandsvollmachten verwehrt hatte. Die USA und der Iran bieten Hilfe an, verweigern aber offiziell militärische Unterstützung. Die irakische Agentur "iraqinews" meldet darauf hin das Eintreffen von drei iranischen Qudsbrigaden und den Aufenthalt des iranischen Generals Suleimani in Bagdad. Dieser hält sich auch immer wieder in Syrien auf, wo angeblich auch keine iranischen Einheiten sind. Irans Präsident Rohani verneint heute den Aufenthalt von iranischem Militär im Irak. Heute ordnete Präsident Obama den Einsatz einer Spezialkampfeinheit zum Schutz der amerikanischen Diplomaten an. Damit gibt es erstmal seit zwei Jahren wieder US Truppen im Irak.
Was ist wahr und was ist gelogen?
Die Recherche vieler Presseorgane scheint sich im Moment eher auf Sekundärwissen zu beziehen und nicht auf Augenzeugen. Gibt es sie nicht oder gibt man sich keine Mühe, authentische Aussagen zu finden. Die NZZ ist bekannt für Ihre gute Recherche und die ausgeglichene Berichterstattung. Die FAZ hat auch ein gutes Netz von Journalisten. Die amerikanischen Sender sind näher dran und lassen mehr Informationen zu. Auch Al Jazira ist gut informiert. Die FAZ vom 14. Juni berichtet von einem sunnitischen Aufstand der drei sunnitischen Bewegungen, ISIS, Stammeskriegern und EX Sadam Hussein Unterstützern. Heute berichtet auch ORF News und die ARD von weiteren Kampfeinheiten neben der ISIS. Die Berichterstattung wird also ehrlicher und die Lage muss differenzierter betrachtet werden.
Immerhin brechen diese Organe mit dem Mainstream , es gäbe nur eine terroristische Gruppe ISIS, die der ominösen 3000 Kämpfer aus Syrien. Diese Gruppe umfasst wahrscheinlich an die 10.000 Kämpfer und hat bisher von Gräueltaten in Nordsyrien auf sich aufmerksam gemacht. Eingeschleust über die Türkei, finanziert von saudischen und katarischen "Geschäftsleuten", ausgerüstet mit russischen und westlichen Waffen, haben diese in Syrien umherstreunenden Killerbanden, in den ungeschützten Gebieten um Aleppo und in der nordwestlichen syrischen Wüste gelegene Siedlungen ethnischer Minderheiten massakriert und geplündert. Von den Morden, Hinrichtungen und sonstigen Grausamkeiten gab es immer wieder ausreichend viele Videos und authentische Berichte. Selbst die Al Kaida Zentrale sagte sich von diesen Gruppen los. Erstaunlicher Weise gab es vom syrischen Militär kein Eingreifen oder Schutz der betroffenen syrischen Bürger. Man lies diese Einheiten gewähren und nutzte ihre brutale Existenz als propagandistischen Beleg für die Verunglimpfung der syrischen Opposition. Tatsächlich konnten sich die ISIS, Nusra und weitere Dijahdistengrüppchen immer mehr, wenig bewohnte Gebiete aneignen, ohne auf organisierten Widerstand zu treffen. Dies gelang nur den Selbstverteidigungskräften der PYD in den syrisch-kurdischen Siedlungsgebieten, die sich inzwischen zu autonomen selbstverwalteten Gebieten erklärt haben. Die Ausdehnung der ISIS über die Grenze in die westlichen Wüstengebiete des Irak war allein der ungehinderten Ausdehnungsmöglichkeit geschuldet.
Zeitgleich gab es in den Sunnitischen Provinzen des Irak z.B. in der Provinz Anbar schon seit 2012 friedlichen Demonstrationen von mehreren hunderttausenden sunnitischen Bürgern gegen die andauernde schlechte Behandlung durch die schiitische Administration des MP Maleki. Nach jedem Freitagsgebet gingen Millionen auf die Strasse und demonstrierten friedlich. Die historisch gewachsene Stammeskultur stand hinter diesen beginnenden Aufständen. Nur die NZZ berichtete damals darüber. So berichtete die NZZ schon im Januar 2014 von den erfolgreichen Aufständen und der Machtübernahme der Stämme in den Städten Ramadi und Fallujah. Schon da hatten sich die Militärräte der Stämme gegen die eingesickerten ISIS-Kämpfer gewehrt.
Die Presse berichtete seit 2013 zwar über die Verfolgung, Absetzung und Verurteilung höchster sunnitischen Politiker im Irak, aber nicht über die Politik des Ministerpräsidenten Maleki, der die Ursache der Unterdrückung jeder sunnitischen Opposition war. Durch seine Ämterhäufung, Ministerpräsident, Innenminister und Oberbefehlshaber hatte er das Gewaltmonopol in seiner Hand konzentriert. Ein weltweit einmalig hohes Gehalt ermöglichte ihm die Unterhaltung einer persönlichen paramilitärischen Garde. Immer wieder lies er auf die Demonstranten schießen und verhaftete Oppositionelle mit der Unterstellung, es handele sich um alte Anhänger Sadam Husseins. 200.000 entlassene sunnitsche Soldaten der irakischen Armee in Tikrit waren durch Ihre Arbeitslosigkeit ein zusätzlicher sozialer Unruheherd. Maleki interessierte sich nach dem Abzug der Amerikaner nicht mehr um soziale oder ethnische und religiöse Fragen, sondern ermächtigte seine schiitische Klientel. Die Unruhen und friedlichen Demonstrationen erklärte Maleki schon vor einem Jahr zur Terrorbewegung, die nur mit Gewalt zu bekämpfen sei. In Einzelfällen lies er die Drecksarbeit von seinen eigenen paramilitärischen Spezialeinheiten vollstrecken, wie z.B. das Massaker an den 100 in Ashraf zur Sicherung des Eigentums befindlichen unbewaffneten iranischen Dissidenten der Volksmudschahedin, von denen 52 regelrecht hingerichtet wurden.
2013 begann Maleki auch die kurdische Regionalregierung zu provozieren. Vereinbarte Beteiligung (17%) an den Öleinnahmen des Irak wurde den Kurden nun plötzlich nicht mehr ausbezahlt. Die kurdische Regionalregierung begann deshalb mit dem Bau einer neuen Pipline durch die türkisch-kurdischen Gebiete bis zum Mittelmeer, die in diesen Tagen erstmals einen Tanker füllte und auf den Markt brachte.
Der kurdische Präsident Talabani erlitt in einem "intensiven" Gespräch mit MP Maleki im Dezember 2012 einen Schlaganfall und lebt seit dem in medizinischer Versorgung in Berlin. Sein schiitischer Stellvertreter konnte nun die vom Präsidenten zu bestätigenden Todesurteile vollstrecken lassen, was Talabani aus prinzipiellen Gründen immer verweigert hatte. Den sunnitischen Stellvertreter des Präsidenten, Haschemi lies Maleki wegen Mordes Anklagen und in Abwesenheit zum Tode verurteilen. Maleki strebte nach der Wiedererlangung der vollständigen staatlichen Souveränität die alleinige Macht an. Dazu brauchte er die Instabilität und den Terror, um sein Handeln zu legitimieren. Darüber hinaus hatte er sich schon lange dem Regime in Teheran angedient. Er war unter Sadam Hussein als politisch verfolgter Schiit in den Iran geflüchtet und auch gerade deshalb, nach der amerikanischen Besetzung als MP einsetzt worden. Doch nach dem 1.1.2012, dem Abzug der Amerikaner wurde er zum besten Freund des iranischen Regimes. Dies beweist u.a. seine veränderte Haltung gegenüber den im Irak befindlichen 3000 iranischen Oppositionellen im Städtchen Ashraf und heute Liberty, die er nun erbarmungslos und gegen alle vertraglichen Sicherheitsgarantien bekämpfen lies. Knapp 160 von Ihnen wurden seitdem in mehreren Massakern getötet. Ihr momentanes Schicksal ist angesichts der aktuellen Kämpfe um Bagdad und die anwesenden iranischen Qudseinheiten in höchster Gefahr. Aber sein politisches Handeln hat auch 5000 irakischen Bürgern das Leben gekostet. Der mit immensen Kosten aufgebaute Sicherheitsapparat hat kein Attentat verhindert, jeden Tag sterben hundert Unschuldige. Hunderte wurden in den letzten zwei Jahren hingerichtet. Das irakische Regieren ähnelt immer mehr der iranischen Repression gegen die eigene Bevölkerung. Politische Oppositionelle, Homosexuelle, u.a. haben keine Chance und werden willkürlich abgeurteilt und hingerichtet.
Wie Außenminister Steinmeier in diesen Tagen erklärte, waren die 400 Millionen deutscher Steuergelder in den Wiederaufbau des Irak, z.B. in die Ausbildung von Richtern, Staatsanwälten und rechtsstaatlichen Justizapparat für die Katz. Er hat leider recht, vergisst aber , dass die Bundesregierung Maleki immer wieder tatkräftig unterstützt hat und ihn in keiner weise unter Druck setzte, seine maßlose Unterdrückungspolitik zu unterlassen. Die Deutsche Botschaft in Bagdad pflegt immer noch beste Beziehungen zum Malekiregime und organisiert Wirtschaftsforen und Delegationsreisen deutscher Wirtschaftsgruppen.
Jetzt rächt sich für alle diese falsche Politik. Das irakische Volk will mehrheitlich Maleki nicht als Ministerpräsident. Kurden und Sunniten, vertreten durch die Stammesfürsten und Politiker wie Allawi und dem im Exil lebenden Haschemi und auch säkulare Teile der Schiiten wollen eine Technokratenregierung, die für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sorgt. Die historisch gewachsene Struktur der arabischen und kurdischen Stammesherrschaft will Frieden und Ausgleich sowie die nationale Einheit erhalten.
Die Hilfe für das Überleben von Maleki wäre also ein neuer Fehler und stärkt das Regime in Teheran in seinem Bestreben, seine Vormachtstellung auszubauen. Doch der Kampf um Bagdad ist noch nicht entschieden und es gibt wohl auch kein Zurück. Malekis Chance auf einer weitere Amtszeit schwinden von Tag zu Tag. Damit schinden aber auch die Möglichkeiten der iranischen Berater und besonders des Generals Suleimani, mit seinen Qudseinheiten noch etwas zu erreichen. Die Nachschubwege iranischer Unterstützung für Assad sind ohnehin weggebrochen.
Jetzt ist es an der Zeit, ein zweites Mal die säkularen und demokratischen Kräfte im Irak zu unterstützen. Die Verfassung ist das Instrument, dass für eine weitere Politik der Maßstab seien muss.
Erstveröffentlichung: Büro für Menschenrechte und Minderheiten, Berlin, 18.6.2014