Iran: Flucht in den Rausch

Flucht in den Rausch Im Iran sind mehr als zwei Millionen Menschen abhängig von Heroin und Opium. Die Regierung reagiert inzwischen mit Methadonprogrammen und Fixerstuben für die Süchtigen. Den Schmugglern droht hingegen oft die Todesstrafe.
Von Kian Badrnejad für tagesschau.de

Auf der internationalen Bühne sind die USA und der Iran Rivalen, doch sie haben einen gemeinsamen Feind: Die Droge Heroin. In beiden Staaten steigt seit Jahren die Zahl der Abhängigen. In den Vereinigten Staaten hat der Tod des Oscar-Preisträgers Philip Seymour Hoffman den Blick der Öffentlichkeit auf die Renaissance des gefährlichen Opiats gelenkt. Aus dem Iran sind prominente Fälle wie der von Hoffman nicht bekannt. Stattdessen hat sich die Droge in den Städten des Landes in den Alltag geschlichen. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), das den Iran im Kampf gegen das Rauschgift unterstützt, schätzt, dass 2,7 Prozent der Iraner Opiate konsumieren. Mit über zwei Millionen Menschen hat der Iran damit nach Afghanistan die weltweit höchste Pro-Kopf-Rate von Menschen, die Heroin und Opium nehmen. Methadonprogramme und Fixerstuben Traditionell hat die Islamische Republik viele Jahre eine äußerst repressive Drogenpolitik. Wer erwischt wurde, dem drohten Peitschenhiebe. Doch das Heroin-Problem ist so massiv, dass das Parlament 2010 in einer Kehrtwende die Drogengesetze reformiert hat. Seitdem gelten Abhängige offiziell als krank und nicht mehr als kriminell. Bestraft wird nur noch, wer nicht abhängig ist und die Drogen gewissermaßen freiwillig nimmt. Wer das tut, muss allerdings immer noch mit der Prügelstrafe rechnen. Doch es gibt tatsächlich Fortschritte. Krankenhäuser wie die Teheraner Aayandeh-Klinik haben sich auf die Behandlung der Süchtigen spezialisiert. Seit einigen Jahren gibt es in Teheran und anderen großen Städten Methadonprogramme und Fixerstuben. Schmuggler werden gehängt Afghanische Grenzpolizisten mit sichergestelltem Heroin an der iranischen Grenze. Im Kampf gegen den Drogenschmuggel setzen die Behörden allerdings weiter auf abschreckende und drakonische Maßnahmen. Im laufenden iranischen Jahr, das am 21. Mai 2013 begann, wurden bislang 65 Drogenschmuggler bei Kämpfen mit der Polizei getötet. Festgenommenen Schmugglern droht oft die Todesstrafe. "70 bis 80 Prozent aller Hinrichtungen zwischen 2010 und 2013 hatten offiziell mit Drogenkriminalität zu tun", sagt Mahmood Amiry-Moghaddam von der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights aus Oslo, die iranische Medienberichte in Bezug auf Hinrichtungen auswertet. "Ich bezweifele aber, dass die Getöteten wirklich immer Schmuggler oder Dealer waren; und in einigen Fällen wissen wir, dass auch Abhängige zum Tode verurteilt wurden." Allein im Januar ließ die iranische Justiz 18 Menschen wegen Drogendelikten hängen. Die meisten wurden nach offiziellen Angaben mit mehreren Kilogramm Heroin gefasst. Irland und Dänemark stellten 2013 wegen der vielen Todesurteile ihre Zahlungen an das Iran-Programm des UNODC ein. Billiges Heroin aus Afghanistan Auch Amiry-Moghaddam kritisiert die Zusammenarbeit der UN mit dem Iran: "Das UNODC misst den Erfolg seiner Zusammenarbeit mit dem Iran nur an der Menge der beschlagnahmten Drogen und liefert Hilfe zum Grenzschutz. Sie sollten auch über die Hinrichtungen und die Toten an der Grenze berichten. Wir fordern nicht, dass sie ihre Arbeit im Iran einstellen. Aber sie sollten die vielen privaten Projekte unterstützen, die sich direkt gegen die Sucht richten." Fast 2000 Kilometer durch unwegsames Gelände: Irans Ostgrenze. Ein Grund für die drakonischen Strafen ist die Schwemme billigen Heroins und Opiums aus Afghanistan. Irans östlicher Nachbar produziert drei Viertel des weltweit hergestellten Rohopiums. Die Anbaufläche hat sich seit 2010 von 123.000 Hektar auf inzwischen geschätzt 209.000 Hektar gesteigert. Mit ungefähr 5500 Tonnen Rohopium fuhren die Bauern 2013 die höchste Ernte seit 2007 ein. Die unwegsame, fast 2000 Kilometer lange Grenze Irans zu Afghanistan und Pakistan ist trotz massiven Einsatzes von Polizei und Armee nur schwer zu kontrollieren. Transitland auf der Route nach Europa Ende Januar hatten Zollfahnder in Leipzig 45 Kilogramm in Teppiche eingewebtes Heroin beschlagnahmt, Ursprungsland war Iran. In den vergangenen neun Monaten haben iranische Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben 403 Tonnen illegale Drogen beschlagnahmt. Nur in Afghanistan selbst wird nach UN-Angaben noch mehr Heroin und Opium gefunden. Eine der wichtigsten Transitrouten für Opiate führt durch die iranischen Provinzen Khorasan und Sistan/Belutschistan nach Westen. Der größte Teil der Drogen landet über die Türkei und den Balkan in Europa. Flucht in die Drogen Doch nicht nur das Überangebot an billigen harten Drogen ist das Problem, auch die Nachfrage ist enorm. "Es herrscht ein Gefühl der Machtlosigkeit, es gibt keine Perspektive für die Menschen. Deshalb flüchten sie sich ins Private und in die Drogen", sagt Amiry-Moghaddam. Die ohnehin marode Wirtschaft liegt wegen der Sanktionen auf die Öl- und Finanzwirtschaft nach wie vor am Boden. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25, und ein Viertel der 15- bis 24-Jährigen hat keine Arbeit. Die strengen sozialen Regeln der Islamischen Republik verbieten viele Ablenkungen, nach den niedergeschlagenen Protesten von 2009 war auch die Hoffnung auf politischen Wandel im Land fast erloschen. Wenig mehr als Hoffnung Mahmood Amiry-Moghaddam: "Zumindest wieder Hoffnung." Im vergangenen Jahr wählten die Iraner Hassan Rohani zum Präsidenten, auf seinen Schultern ruhen große Hoffnungen. Doch konkrete Veränderungen gab es seit seiner Wahl nur in der Atom-Diplomatie. Immerhin, in seiner Bürgerrechts-Charta verspricht Rohani besseren Zugang zu therapeutischen Einrichtungen, mehr medizinische Beratung und Unterstützung für die Familien der Süchtigen. "Es gibt zumindest wieder Hoffnung im Land. Das ist die eine gute Sache, die die Wahlen im vergangenen Jahr bis jetzt gebracht haben", urteilt Amiry-Moghaddam. Und mit der Hoffnung schwindet vielleicht sogar der Reiz durch die Drogen. Stand: 18.02.2014 01:03 Uhr Mehr zu diesem Thema: Iran: Ein Land im Rausch, ein Volk auf Dröhnung, 16.01.2012 Weltatlas | Iran